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Bittersüße Metta-Früchte

»Straff und kühl spannte sich die Haut über seinen kleinen Körper. Das Herz schlug im Wettlauf mit seinem Atem und auf der Zunge lag das Salz der See. Zufriedene Erschöpfung hinterließ Abdrücke, bei jeden seiner Schritte durch den heißen Sand.
Seine Mutter reichte ihm das rosafarbene Strandtuch, dessen ausgeblichenes Muster sich nicht ergründen lies, ganz gleich wie langsam die Nachmittage vergingen. Mit beiden Händen drückte er den warmen Stoff gegen sein Gesicht und brachte die Welt zum Schweigen. Ein Gefühl von Geborgenheit und Freude brandete gegen seine Brust. Tief sog er den Geruch in sich auf. Eine Mischung aus grünem Tee, Gummibärchen und Strandkorb. Noch wusste er nicht, dass er diesen Geruch, viele Jahre später, am Hals seiner Liebe wiederfinden würde.«

Ab und an überkommt mich in der Metta-Meditation ein Gefühl der Glückseligkeit. Des absoluten Wohlbefindens. Der Geborgenheit. Diese Momente empfinde ich als sehr kostbar, zeigen sie mir doch deutlich, dass Liebe in mir selbst und unabhängig von äußeren Einflüssen entstehen kann. Wie ein warmes Strandtuch legen sich Mitgefühl, Freude und Liebe über meinen ganzen Körper. Das Herz öffnet sich und ich fühle mich Pudelwohl!


Das sind die süßen Früchte der Praxis. Wir dürfen sie uns schmecken lassen. Sie sind bekömmlich und leicht verdaulich.


Es gibt aber auch andere Tage. Da sitze ich schwer und traurig auf meinem Kissen und sehne mich nach der süßen Lieblichkeit vergangener Meditationen. Im Buddhismus spricht man dabei von Anhaftung – eine der Ursachen für Leid. Bemerke ich diese Tendenzen, versuche ich ihnen mitfühlend zu begegnen. Ich werde mir bewusst, wie ich versuche, meine guten Wünsche dafür zu nutzen, Freude und Leichtigkeit zu kreieren und beobachte, wie sich die Kluft zwischen Vorstellung und Realtität mit Leid anfüllt. Diese Erkenntnis hilft mir dabei, mich von meinen Vorstellungen zu verabschieden, Gleichmut zu aktivieren und mich auf bedrückende Gefühle einzulassen.


Habe ich mich in den Ist-Zustand entspannt – das heißt, ich kann meine Gefühle so sein lassen – wird es interessant. Auch wenn ich tief traurig bin, Groll spüre oder sich meine Brust unter einem Panzer aus Wut und Zorn verhärtet, kann ich diesen Momenten mit wohlwollender Zärtlichkeit begegnen. Ich muss mich nicht disziplinieren, anstrengen oder verändern, sondern darf meine Gefühle umarmen. Treffe ich dabei auf den kleinen Kai, den inneren Antreiber oder Kritiker, stehe ich auch ihren Ängsten, Sorgen und Befürchtungen offen gegenüber. Ich höre ihre Bedürfnisse, statt sie zu beschwichtigen, zu fliehen oder sie zu bekämpfen. Natürlich spüre ich immer noch den Schmerz, sei es körperlicher oder emotionaler Art aber ich begegne ihm mit Liebe. Trifft Liebe auf Schmerz – entsteht Mitgefühl.


Die Erlaubnis des Mitgefühls, mit meinen belastenden Gefühlen zu sein, gibt mir die Möglichkeit, mich meinen Verletzungen zu nähern, die Wunden zu betrachten und dadurch langsam zu heilen. An manchen Tagen stellt sich ein großer Frieden ein, an anderen Tagen fließen Tränen aus meinen Augen oder das Herz scheint zu brechen, unter der Erkenntnis alter Verletzungen.


Das sind die bitteren Früchte der Praxis. Thích Nhất Hạnh vergleicht sie mit Bittermelone, an deren Geschmack man sich erst gewöhnen muss, bevor man sie genießen kann und sie erfrischst.


Lassen wir uns auf den Geschmack von belastenden Gefühlen ein, schrecken nicht zurück vor Verletzungen und Ängsten, können wir die volle Ernte der Meditations-Praxis nutzen.


Um die Früchte zu genießen müssen wir in der Lage sein, sie zu verdauen. Wollen wir unnötiges Bauchweh vermeiden, sollten wir uns langsam an den Geschmack gewöhnen. Mit viel Geduld nähern wir uns Stück für Stück unserem Schmerz, probieren vorsichtig wieviel uns gut tut und achten auch das Gefühl, es momentan satt zu haben.


Anstatt nur die süßen Anteile der Praxis zu ernten, lernen wir mit der Zeit, auch bitteren Geschmack zu schätzen und können seine heilsamen Energien nutzen, um uns nachhaltig und wohltuend zu nähren.


Welches sind die süßen Früchte Deines Lebens und kannst Du auch Bitter genießen? Um die ersten Samen zu streuen, empfehle ich Dir meine Mini-Metta-Meditation, die Du kostenfrei auf InsightTimer, hören kannst.


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